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E-Control: Energiegemeinschaften für neue Möglichkeiten am Energiemarkt

Die Corona-Krise hat alle anderen Themen über Wochen in den Schatten gestellt – damit sind sie allerdings nicht verschwunden. Eine der größten globalen Heraus-forderungen der Gegenwart bleibt der Klimawandel. Neue Technologien und Marktmodelle sollen dabei zur Anwendung kommen, um die Kunden stärker in die Thematik einzubinden. Ein Kernaspekt dabei: die Energiegemeinschaften. 

Gesprächspartner:

  • Dr. Wolfgang Urbantschitsch, LL.M., Vorstand E-Control 
  • Dr. Harald Proidl, Abteilungsleiter Ökoenergie und Energieeffizienz 

 

Wien (01. Juli 2020) – Die Dezentralisierung der Stromversorgung ist ein nachhalti-ger Trend der letzten Jahre. Die Photovoltaik boomt wie nie zuvor, Speicher sind immer weiterverbreitet und smarte Technologien optimieren, steuern und regeln verstärkt die elektrischen Anwendungen in den eigenen vier Wänden. Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand der E-Control, dazu: „Der sogenannte ‚Prosumer‘ – also der Stromkunde, der Energie selbst erzeugt, speichert und verbraucht – rückt immer mehr in den Fokus des Interesses.“ Doch damit nicht genug: neue IT- und Kommu-nikationstechnologien, günstigere Lösungen und Förderungen für PV und Spei-cher, die Verbreitung von E-Mobility und Wärmepumpen führen dazu, dass dezent-rale Energieversorgungslösungen noch weiter an Bedeutung gewinnen. „Die Men-schen sind auf den Geschmack gekommen, in ‚schicke‘ Technologien zu investie-ren. Der Prosumer ist nicht mehr ein klischeebehafteter ‚Umweltaktivist‘, sondern entspricht immer mehr dem hippen Zeitgeist der smarten ‚Technologie-Gesellschaft‘.“, ist Urbantschitsch überzeugt. 

Doch die Investitionen in moderne Technologien folgen nicht nur einem modernen Trend, sondern haben umwelt-, klima-, energie- und gesellschaftspolitische Implika-tionen. Dieser Sachverhalt ist schon längst auf der europäischen Bühne der Ener-gie- und Klimapolitik angekommen. 

Damit einhergehend wurden mit dem „Clean Energy Package“ neue Rahmenbe-dingungen für Energiemärkte geschaffen. Das „Clean Energy Package“ stellt ein wesentliches Thema in den Vordergrund: stärkere Akzeptanz der „Energiewende“ durch die Bevölkerung. Die Transformation hin zu einer CO2-freien Energieversor-gung sollte von der breiten Masse ausgehen und einem basisdemokratischen An-satz folgen. Urbantschitsch betont: „In Zukunft sollte es für jeden möglich sein, Energie zu erzeugen, diese zu speichern, zu verbrauchen und auch zu verteilen.“ Und ein ganz wesentlicher Ansatz dafür sind die Energiegemeinschaften.   

Welche Energiegemeinschaften soll es geben? 

Bei den Energiegemeinschaften wird zwischen zwei Varianten unterschieden: 

-    Die Erneuerbaren-Richtlinie spricht von den „Erneuerbaren Energiegemein-schaften“ (bzw. Renewable Energy Communities – RECs) 
-    Die Strombinnenmarktrichtlinie spricht von den „Bürgerenergiegemeinschaf-ten“ (bzw. Citizen Energy Communities – CECs) 

In beiden Fällen kann eingespeiste Energie mit weiteren Verbrauchern „geteilt“ (=weitergegeben) werden, gespeicherte Energie kann weiteren Verbrauchern gelie-fert und der eigener Netzbezug kann mit weiteren Verbrauchern koordiniert werden („sharing economy“). 

Urbantschitsch führt dazu aus: „Auf den zweiten Blick unterscheiden sich die bei-den Konzepte jedoch recht deutlich. Dies wird auch für die gesetzliche Ausgestal-tung keine einfache Aufgabe werden.“ 

Die angesprochenen Unterschiede

Spezifika der RECs: 
-    Diese fokussieren nicht nur auf elektrische Energie, sondern auch auf Wär-me und Kälte sowie biogene Treibstoffe.
-    Eine räumliche Eingrenzung sollte den Aktionsradius einschränken.
-    Der Hauptzweck liegt nicht im Erwirtschaften von Gewinn, sondern Mitglieder sollen Vorteile bekommen.

Spezifika der CECs: 
-    Diese beziehen sich ausschließlich auf Strom und schließen nicht-erneuerbare Technologien per se nicht aus.
-    Die räumliche Eingrenzung spielt hier keine Rolle. 
-    Die Funktionalität wird hier erweitert. Man erfasst auch Themen wie Aggrega-toren, Pooling und E-Ladestationen und sogar der Betrieb von Netzen wird eingeräumt. 

Neben den Energiegemeinschaften ist in der Erneuerbaren-Richtlinie auch der „Ei-genversorger“ vorgesehen. Dieses Konzept sieht vor, dass Eigentümer von Erzeu-gungsanlagen ihren Überschuss auch direkt an Verbraucher verkaufen können – man spricht hier von einem Peer-to-Peer-Handel. „Theoretisch wird damit dem lang gehegten Wunsch Rechnung getragen, wonach Eigentümer von PV-Anlagen z.B. den Überschuss direkt an den Nachbarn oder ein Familienmitglied verkaufen kön-nen. Klarerweise müssen aber auch dabei entsprechende Regeln erst geschaffen werden, damit die Rechte und Pflichten aller Beteiligten geschützt und erhalten bleiben.“, erläutert Urbantschitsch.

Der §16a ElWOG – Vorläufer und Vorlage 

Bereits 2017 wurde im Rahmen einer Ökostromnovelle die Basis für einen Vorläufer der Energiegemeinschaften geschaffen: die gemeinschaftliche Nutzung von Er-zeugungsanlagen – auch bekannt als §16a-Anlagen. Urbantschitsch dazu: „Die gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen erzeugten eine wahre Euphorie und schürten hohe Erwartungen in den Ausbau von Erneuerbaren – gerade im urbanen Bereich.“ Die Realität sah dann doch etwas anders aus. Die hohen Erwartungen haben sich nicht ganz erfüllt,  und es haben sich einige Hürden abseits des Ener-gierechts aufgetan. Dabei handelte es sich etwa um Eigentumsrecht, Mietrecht, etc. „Bei der Gestaltung der Energiegemeinschaften darf man auch auf die Rahmenbe-dingungen abseits der Energierechtsmaterien nicht vergessen. So können etwas das Gewerberecht oder auch das Gesellschaftsrecht Hürden bei der Gründung von Gemeinschaften darstellen.“, so Urbantschitsch. 

Die Position des Regulators 

Die E-Control sieht in den Energiegemeinschaften ein wesentliches Instrument des zukünftigen Strommarktes, daher ist es wichtig, die Grundideen und Grundzüge der Richtlinien entsprechend umzusetzen. Es müssen die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass die Energiegemeinschaften auch tatsächlich zu einem „Massenphänomen“ werden können. Dabei müssen die Modelle administrierbar bleiben, und für alle Beteiligten müssen die gewohnten Rechte und Pflichten (ins-besondere Versorgungsqualität und freie Lieferantenwahl) garantiert sein. Potenzi-elle negative Auswirkungen auf das Gesamtsystem oder auf andere Marktteilneh-mer sollten soweit möglich begrenzt werden. „Die E-Control sieht ihre Rolle darin, einen entsprechenden Beitrag zu leisten, damit Hindernisse abgebaut werden und die Energiegemeinschaften potenziell am Markt teilnehmen können. Gleichzeitig muss jedoch die Kostenverursachungsgerechtigkeit im Fokus bleiben, sowie si-chergestellt werden, dass es zu keinen großen Umverteilungen kommt.“, betont Ur-bantschitsch.

Wie sollen Energiegemeinschaften attraktiv gemacht werden?

Aus dem Feedback potenzieller Projektentwickler ist bekannt, dass Erneuerbare Energiegemeinschaften ohne ökonomischen Anreiz nur bedingt entstehen werden. Ein zentraler und bereits breit diskutierter Vorschlag (man könnte hier auch bereits von „common sense“ sprechen) fokussiert darauf, über die Netztarife einen entspre-chenden Anreiz zu schaffen. „Ohne dem Gesetzwerdungsprozess vorgreifen zu wollen, hat die E-Control einige Überlegungen und Berechnungen angestellt.“, er-läutert der Leiter der Abteilung Ökoenergie und Energieeffizienz in der E-Control, Harald Proidl. 
Wenn die Erneuerbaren Energiegemeinschaften das öffentliche Netz auf der Nie-derspannungsebene (NE 6 und 7) für die Erzeugung, die Verteilung und den Ver-brauch von elektrischer Energie nutzen, dann könnte es für diese Energiemenge gerechtfertigt sein, lediglich die Kosten der Niederspannungsebene anzusetzen und die Kosten des vorgelagerten Netzes nicht in die Kalkulation der Netzentgelte miteinzubeziehen. 

Dies gilt gleichermaßen für Kunden, die sich selbst an das Niederspannungsschalt-feld der Transformatorstation angeschlossen haben (NE 6-Kunden). Auch für diese Kunden wäre es rechtfertigbar, für den Ortsnetztarif der Niederspannung die Kosten der Netzebene 7 ohne gewälzte Kosten anzusetzen. 

„Die zuvor beschriebene Vorgehensweise würde die Netzentgelte für die in der Er-neuerbaren Energiegemeinschaft auf der Niederspannungsebene erzeugte, verteil-te und konsumierte Energie durchschnittlich um 62% reduzieren, während der er-rechnete Abschlag mit Einbeziehung der Kosten der Netzebene 6 lediglich 48 % wäre.“, rechnet Proidl vor. 
Weiters wäre zu überlegen, den Ortsnetz-Tarif österreichweit zu harmonisieren, um zumindest für Erneuerbare Energiegemeinschaften die gleichen tariflichen Voraus-setzungen im gesamten Bundesgebiet zu schaffen. So würden etwaige Vor- und Nachteile in den Kostenzuordnungen der Netzbereiche ausgeglichen und eine einheitliche Voraussetzung für die Bildung von EEGs geschafft. Durch die Anwen-dung eines Abschlages auf das verordnete Entgelt wäre gewährleistet, dass die Kunden der unterschiedlichen Netzebenen auch nur jenen Anteil zu tragen haben, der für die Kunden relevant ist (ein Netzebene 6 Kunde entsprechend weniger als der Netzebene 7 Kunde). „Wichtig ist anzumerken, dass die Vorteile von Energie-gemeinschaften durch das restliche Kundenkollektiv ausgeglichen werden müs-sen.
Die E-Control schlägt vor, im „Ortsnetztarif“ nur die Arbeitskomponente zu verrech-nen. Die Bildung einer Ortsnetz-Leistungskomponente wäre zwar möglich, würde jedoch die Verrechnung kompliziert und intransparent machen.“, so Proidl.
Ergänzend sei natürlich noch erwähnt, dass die Erneuerbaren-Richtlinie klar vor-sieht, dass Energiegemeinschaften auch von bestehenden Ökostrom-Förderprogrammen profitieren können. 

Was sind die Erwartungen? 

Die Grundstimmung ist sehr positiv und die Erwartungen hinsichtlich der neuen Möglichkeiten der Energieversorgung dementsprechend hoch. Das bestätigt auch eine von Peter Hajek Public Opinion im Auftrag der E-Control durchgeführte Befra-gung.  So bezeichneten etwa zwei Drittel der Befragten „Mehr Photovoltaikanlagen zur privaten Eigenversorgung mit Strom“ als sehr wichtige oder wichtige Klima-schutzmaßnahme. Auch die Energiegemeinschaften sind im Bewusstsein der Be-völkerung demnach durchaus schon angekommen. Knapp die Hälfte der Befragten bezeichnete „Mehr private Energiegemeinschaften“ als sehr wichtig oder wichtig für den Klimaschutz. Während sich die Politik europaweit einen neuen Ausbauschub erwartet und die Erneuerbaren-Branche bereits an Umsetzungskonzepten arbeitet, gibt es aber auch kritische Aspekte. „Unter den aktuellen Rahmenbedingungen darf man sich mit den Energiegemeinschaften keine großen wirtschaftlichen Vorteile erwarten – oder anders ausgedrückt: man wird bei der Stromrechnung kaum sparen können. Ein anderer Aspekt betrifft Organisation, Verwaltung und Administration. Die Errichtung einer Energiegemeinschaft wird auf jeden Fall mit der Gründung ei-nes Vereines, einer Genossenschaft oder ähnlichen Strukturen verbunden sein. Damit entsteht ein nicht zu vernachlässigender administrativer und durchaus auch zusätzlicher finanzieller Aufwand.“, glaubt Urbantschitsch. 

Man darf aktuell durchaus von der Annahme ausgehen, dass die Energiegemein-schaften in einem ersten Schritt den öffentlichen Bereich stark ansprechen werden. Die gemeinsame Nutzung von Erzeugungsanlagen durch örtliche Einrichtungen wie Schulen, Gemeindehäuser, Bauhof, Polizeistationen, öffentliches Schwimm-bad, etc. erscheint zunächst eher wahrscheinlich, als ein umfassender Zusammen-schluss von Privatpersonen – gerade der organisatorische Aufwand könnte für die-se eine Hürde darstellen. 

Wie geht es weiter? 

Potenzielle Entwickler, Gründer und Betreiber von Energiegemeinschaften schar-ren schon in den Startlöchern. „Noch gilt es jedoch, sich in Geduld zu üben, bis die entsprechenden gesetzlichen Anpassungen am Tisch liegen. Das zuständige Mi-nisterium arbeitet bekanntermaßen an der Umsetzung der europäischen Richtlinien und den entsprechenden nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Es ist noch nicht einfach, abzuschätzen, wohin der Weg ganz konkret führt.“, so Ur-bantschitsch. Die Kernpunkte der Diskussionen rund um die Energiegemeinschaf-ten sind aber hinlänglich bekannt: führt man Größenbeschränkungen bei der Er-zeugungsleistung innerhalb der Gemeinschaft ein, bis zu welcher Netzebene weitet man den Aktionsradius aus und welche ökonomischen Anreize werden gesetzt? 

Während die ökonomischen Anreize mit dem oben beschriebenen „Ortsnetztarif“ schon recht konkret sind, sind die anderen Punkte noch Gegenstand von Gestal-tung und Verhandlungen. Für Urbantschitsch ist klar: „Je offener die Rahmenbe-dingungen sind und je weniger technische Restriktionen eingeführt werden, desto mehr Potential für Erzeugung- und Verbrauchsstrukturen sind vorhanden. Gleich-zeitig steigert sich jedoch die Komplexität der Umsetzung und es gilt zu bedenken, inwieweit dies dann auch noch den Grundgedanken der Europäischen Kommissi-on bei der Ausgestaltung der Clean Energy Package entspricht. Es bleibt auf jeden Fall spannend.“

Die E-Control führt am 14. September eine Fachtagung zum Thema „Energiege-meinschaften – wohin geht die Reise?“ durch. Weitere Informationen dafür sind auf der Homepage der E-Control unter folgendem link zu finden: https://www.e-control.at/fachtagung-energiegemeinschaften