Diversifizierung der Gasquellen
Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geriet die Anhängigkeit von russischen Gaslieferungen zunehmend in den Fokus. Der Ausfall der Nordseepipeline Nord Stream zeigte die Probleme substanzieller Abhängigkeit von einem dominanten Gaslieferanten auf. Während vor dem Ukrainekrieg rd. 40% des in Europa verbrauchten Erdgases über Pipelines aus Russland importiert wurde, ging der Anteil der russischen Pipelineimporte in den Folgejahren deutlich auf unter 10% zurück. Österreich und die Nachbarstaaten Ungarn und Slowakei weisen aber auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn noch hohe Importanteile an russischem Gas auf. Ziel der EU und Österreichs ist es die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter deutlich zu reduzieren.
Österreich verfügt über gute Anbindungen an den deutschen und italienischen Markt, was eine Diversifizierung der Bezugsquellen erleichtert. Über die westlichen Entry-Punkte Oberkappel und Überackern können Gasmengen aus dem deutschen Markt in das Marktgebiet Ost importiert werden Über den südlichen Entry-Punkt Arnoldstein kann Gas aus dem italienischen Markt bezogen werden. Seit Oktober 2024 stehen hierfür am Entry Arnoldstein auch zusätzliche Kapazitäten bereit. Mit der Kapazitätserweiterung auf italienischer Seite wurde die technische Importkapazität um rd. ⅓ gesteigert.
Gasimportrouten nach Österreich und Europa
Über den deutschen und italienischen Markt hat Österreich auch Zugang zu LNG, das zum Beispiel im Norden an LNG-Terminals in Deutschland, den Niederlanden oder Belgien und im Süden an den italienischen LNG-Terminals anlandet. Durch den substanziellen Ausbau der LNG-Regasifizierngskapazitäten in Europa ab 2022 (hier v.a. in Deutschland und Italien) konnte der Wegfall der russischen Gaslieferungen kompensiert werden. Auch bei einem Wegfall russische Gaslieferungen über die Ukraine-Route stehen in Europa mittelfristig ausreichend LNG-Kapazitäten zur Verfügung.
Für die Diversifizierung der österreichischen Gasversorgung ist vor allem die Anbindung an den globalen LNG-Markt von Bedeutung. Hierfür muss aber auch mittel- und langfristig sichergestellt werden, dass für den Gastransport von den LNG-Terminals im Norden und Süden in das österreichische Marktgebiet ausreichend Transportkapazitäten innerhalb der angrenzenden Marktgebiete Deutschland und Italien und zwischen diesen Marktgebieten und dem Marktgebiet Ost zur Verfügung stehen. Neben den technischen Transport- und Grenzübergabekapazitäten ist für Österreich als Binnenland auch wichtig, dass in den benachbarten Marktgebieten, die Österreichs Zugang zu LNG-Mengen sind, keine marktverzerrenden oder handelshemmende Maßnahmen wie (z.B. die deutsche Gasspeicherumlage) umgesetzt werden.
Maßnahmen zur Diversifizierung der Gasbeschaffung für österreichische Endkund:innen
Wirtschaftliche Anreize zur Diversifizierung über das Gasdiversifizierungsgesetz
Zur Beschleunigung der Reduktion der Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas wurde das Gasdiversifizierungsgesetz 2022 (GDG 2022) erlassen, auf dessen Basis Förderrichtlinien zur teilweisen Abgeltung von Mehrkosten für Unternehmen, die durch die Lieferung von Erdgas aus nicht-russischen Quellen entstanden sind, erarbeitet wurden. Die Herkunft des Erdgases muss dabei mittels eines den Richtlinien entsprechenden Nachweises erfolgen. Ebenso werden nur jene Erdgasmengen aus nicht-russischen Quellen unterstützt, die nachweislich bis zum 31. Dezember 2025 zum zeitgleichen Verbrauch in Österreich ausgespeichert wurden.
Ziel des GDG 2022 ist also die Erhöhung der Resilienz der österreichischen Volkswirtschaft durch Reduktion der Abhängigkeit von russischem Erdgas durch die Abfederung der Zusatzkosten der Diversifizierung zur Entlastung der Unternehmen. Diese Entlastung bzw. Abgeltung wird durch die Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH (aws) abgewickelt.
Monitoring der Diversifizierung: Langfristvorschau der Beschaffung für österreichische Endkund:innen
Um abschätzen zu können, inwieweit Gasversorger ihr Beschaffungsportfolio diversifiziert haben, hat die E-Control Im Jänner 2024 erstmalig die Daten zur „Langfrist-Vorschau“ gemäß des neuen § 5a Erdgas-Energielenkungsdaten-Verordnung (G-EnLD-VO) bei den Gasversorgern erhoben. Es ist eine Stichtagsabfrage (per 31.1.2024) über die bereits beschafften Gasmengen für Endkund:innen für die Lieferjahre 2024, 2025 und 2026.
Im Rahmen dieser Erhebung wurde von den Gasversorgern gemeldet, dass ca. 56 % der zum Stichtag 31.1.2024 für das Lieferjahr 2024 beschafften Mengen auf der Basis von bilateralen Verträgen über den OTC („Over the Counter“)-Handel beschafft wurden und die Vertragspartner nationale und internationale Erdgashändler sind. Die Versorger gaben zudem an, dass ca. 22 % der Gasmengen über die Börse beschafft wurden, d.h. der Vertragspartner die Börse ist. Die Lieferanten dieser Gasmengen sind dem Abnehmer daher nicht bekannt, es sind an der Börse registrierte nationale und internationale Erdgashändler. Die gemeldeten Daten der Gasversorger zeigen, dass am Stichtag 31.1.2024 rd. 12 % der beschafften Mengen für das Lieferjahr 2024 aus direkten Verträgen mit russischen Gashändlern, 7 % aus Verträgen mit inländischen Gasproduzenten (inkl. erneuerbare Gase) und 3 % aus Verträgen mit norwegischen Produzenten stammen. Anhand der Gasflüsse im österreichischen Gasnetz ist davon auszugehen, dass es sich auch bei einem Großteil der Handelsmengen am OTC-Markt und an der Börse zurzeit noch um Gas russischer Herkunft handelt. Die Gasversorger haben im Rahmen der Erhebung angegeben, dass ein (geringerer) Teil der Gasmengen für die Deckung des Endkundenbedarfs erst kurzfristig während des Jahres 2024 eingekauft wird. Für die Jahre 2025 und 2026 ist der Anteil dieser „offenen“ Beschaffungsmengen größer und die Aussagekraft der Erhebungsdaten daher geringer. Eine Aussage über die Entwicklung der Diversifizierung ist erst mit der nächsten Erhebung möglich, da der Wert für 2024 den Ausgangswert für diesen Vergleich darstellt. Zudem werden auch Anpassungen der Erhebungsmodalitäten angedacht, um das Bild nachzuschärfen. Parallel dazu soll auf europäischer Ebene ein europaweites Herkunftsnachweissystem für Gas vorangetrieben werden.
Neue Maßnahme ab 2024: Nachweis von Diversifizierungsbemühungen durch Vorlage von Versorgungssicherheitskonzepten
Mit Inkrafttreten des neuen § 121a Gaswirtschaftsgesetz 2011 haben Versorger mit mehr als 20.000 Zählpunkten oder einer jährlichen Abgabemenge von mehr als 300 GWh Konzepte zur Vorbereitung des unmittelbaren Ausfalls ihrer größten einzelnen Bezugsquelle zu erstellen und diese an die Regulierungsbehörde zu übermitteln. Diese Konzepte haben
- eine detaillierte und leistungs- sowie mengenmäßige Darstellung aller getroffenen und geplanten Maßnahmen, die dafür erforderlich sind, dass bei unmittelbarem langfristigen Ausfall der größten einzelnen Bezugsquelle die übrigen Bezugsquellen dazu in der Lage sind, die Deckung der jeweiligen gegenüber österreichischen Endkund:innen eingegangenen vertraglichen Versorgungsverpflichtungen erfüllen zu können,
- eine detaillierte und mengenmäßige Darstellung aller getroffenen und geplanten Maßnahmen, die dazu dienen, den Anteil an Gasmengen mit Ursprung in Staaten, die von einer aufrechten Maßnahme im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, ABl. Nr. L 229 vom 31.07.2014, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 2024/745, ABl. Nr. L 745 vom 23.02.2024, S. 1, betroffen sind, zu reduzieren sowie
- eine Darstellung über die Herkunft aller Gasmengen, die nicht über virtuelle Handelspunkte bezogen wurden, wobei Gasmengen unbekannter Herkunft als solche auszuweisen sind zu enthalten. Die E-Control hat zur Erhebung und zum Inhalt der Konzepte einen Leitfaden auf ihrer Webseite veröffentlichen.
Die Pflicht zur Erstellung der Konzepte entfällt für Versorger, die nachweisen können, dass
- die Gasmengen seiner größten einzelnen Bezugsquelle ihren Ursprung in Staaten haben, die nicht von einer aufrechten Maßnahme im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, ABl. Nr. L 229 vom 31.7.2014, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 2024/745, ABl. Nr. L 745 vom 23.02.2024, S. 1, betroffen sind,
- es sich nicht um Gasmengen unbekannter Herkunft handelt oder
- die jährliche Liefermenge seiner größten einzelnen Bezugsquelle, bezogen auf das Gasjahr, weniger als 25 % der jeweils von ihm insgesamt im vorhergehenden Gasjahr an seine österreichischen Endkund:innen gelieferten Gasmengen beträgt.
Außerdem hat die E-Control bei allen in Österreich tätigen Versorgern, sofern nachvollziehbar, das Herkunftsland von Gasmengen bei bilateralen Verträgen oder die Börse, über welche Gasmengen beschafft werden, abzufragen. Versorger sind dazu verpflichtet, die hierfür notwendigen Daten und Informationen in schriftlicher Form innerhalb von zwei Wochen nach schriftlicher Anfrage durch die Regulierungsbehörde an diese zu übermitteln.
Die Ergebnisse der Erhebung werden voraussichtlich erstmalig im 4. Quartal 2024 verfügbar sein.
Unterstützung der Diversifizierung der Gasbeschaffung auf EU-Ebene: Europäische Beschaffungsplattform „Aggregate EU“
Mit der Verordnung (EU) 2022/2576 hat die Europäische Union Ende 2022 einen Mechanismus zur Bündelung der Nachfrage und zum gemeinsamen Gas-Einkauf geschaffen. Ziel der Verordnung ist die bessere Koordinierung der Gasbeschaffung, um eine ausreichende Gasversorgung für den nächsten Winter 2023/2024 sicherzustellen.
Zu diesem Zweck beauftragte die Europäische Kommission einen Dienstleister (Prisma European Capacity Platform GmbH) mit der Einrichtung des erforderlichen Mechanismus, genannt „AggregateEU“. Der Mechanismus zielt darauf ab, die Gasnachfrage von Unternehmen mit Sitz in der EU oder in Ländern der Energiegemeinschaft zu aggregieren und sie mit den wettbewerbsfähigsten Lieferangeboten rechtzeitig für die nächste Speicherfüllsaison abzugleichen.
Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Nachfrage nach Gasmengen, die 15 % ihrer jeweiligen Verpflichtungen zur Speicherbefüllung entsprechen, über die gemeinsame Energiebeschaffungsplattform zu bündeln.
Im Mai 2023 fand die erste Ausschreibungsrunde über „AggregateEU“ statt. Insgesamt haben dabei 77 europäische Unternehmen einen Bedarf iHv 11,6 Mrd. Kubikmeter Erdgas angemeldet. Daraufhin haben 25 Lieferanten Gasmengen iHv 13,4 Mrd. Kubikmeter Erdgas angeboten. Letztendlich konnten Gasmengen iHv 10,9 Mrd. Kubikmeter erfolgreich zusammengebracht werden, wobei der Abschluss der Verträge zwischen Käufer:in und Lieferant:in dann außerhalb der Plattform erfolgt.